70 Jahre Montanunion

Veranstaltungsrückblick

08.09.2022

Die Idee der Montanunion: Wie hat sie sich entwickelt und was sind ihre Ziele für die Zukunft? Außerdem eine Zusammenfassung unserer Veranstaltung im Zeit-Cafe!

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Am 23. Juli 1952 trat die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Kraft. Der gemeinsam verfasste Vertrag zwischen zunächst Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden war für die Parteien der erste Vertrag der es vorsah, soveräne staatliche Rechte einer Nation auf eine supranationale Organisation zu übertragen. Das Modell der Montanuion war somit Vorbild für die Struktur der späteren Europäischen Gemeinschaft.  

Bei der Grundidee handelte es sich zunächst um eine wirtschaftliche Verflechtung der Nationen. Vieles deutet aber daraufhin, dass der Wunsch nach gemeinsamen Werten auch schon damals erkennbar war. Zumindest erhoffte man sich nach dem Krieg, durch vertragliche Zusammenführung den Frieden zu erhalten. Das ist klar erkennbar, durch die Entscheidung eine Kohle und Stahl Gemeinschaft zu gründen, die auf einer Initiative von Robert Schumann, damals französischer Außenminister, beruht. Durch den Aufbau einer gemeinsamen Schwerindustrie sollte es nicht mehr möglich sein, dass ein Partner heimlich aufrüstet. Wie wichtig gemeinsame Ziele damals waren, ist auch erkennbar durch den persönlichen Einsatzes Adenauers, dessen volle Aufmerksamkeit der europaweiten Zusammenarbeit galt.

70 Jahre später steht die EU als supranationale Organisation und mehr als nur eine wirtschaftliche Vereinigung vor großen globalen Herausforderungen. Die Klimakrise, große Geflüchtetenbewegungen oder auch der Angriffskrieg auf die Ukraine. 

Die Fragen, die über den Abend an unsere Referent:innen Staatsrätin Almut Möller, Prof. em. Dr. Gabriele Clemens und Dr. Manuel Müller gestellt wurden waren: Ist Europa für die großen Herausforderungen gewappnet? Funktioniert die Zusammenarbeit auch über wirtschaftliche Verflechtungen hinaus? Ist der Einsatz der Politik für Europa stark genug?

Der erste Stresstest sei der Austritt Großbritanniens gewesen. Europas gemeinsame Ziele und die Effektivität der Gemeinschaft wurden in Frage gestellt. Es schien als ob ein Stein ins Rollen käme. Doch der Austritt und die Konsequenzen mit denen sich Großbritannien gesellschaftlich und wirtschaftlich auseinander setzen musste und bis heute noch muss, schien andere Länder von dieser Idee abgeschreckt zu haben, die EU tatsächlich zu verlassen. Welche wirtschaftlichen Vorteile die EU hat und wie sehr sich die Menschen auch über die gemeinsame Werte in der EU verbunden fühlen, erkannte man wohl erst, als man nicht mehr Teil davon war. 

Nichtsdestotrotz wurde im Laufe des Abends immer wieder die Handlungsunfähigkeit der EU, insbesondere mit Blick auf das in den Verträgen festgehaltene Einstimmigkeitsprinzip, in Frage gestellt. Richtig sei, dass in der Vergangenheit immer wieder relevante Entscheidungen durch das Veto nur eines Landes blockiert wurden. Dabei wurde in der Diskussion festgestellt: Das Einstimmigkeitsprinzip könnte nur durch eine einstimmige Entscheidung verworfen werde. Eine Lösung dieses Problems ist somit erstmal nicht in Aussicht. Gleichzeitig wurde auch betont, dass Europa durch seine lange Geschichte inzwischen eine immense Rolle in der Weltordnung eingenommen hat. Eine Welt ohne die EU sei kaum vorstellbar. Und Europa habe eines bewiesen: Druck von Außen scheint die Mitgliedsstaaten an manchen unerwarteten Stellen wieder zusammenzuschweißen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine habe gezeigt: Europa kann zusammenarbeiten und sich auf gemeinsame Ziele einigen. Und noch wichtiger, auch wenn nicht immer alle Politiker in der EU dieselben Vorstellungen haben, die Menschen, die in der EU leben, verfolgen dieselben Werte wie Frieden, Gleichberechtigung und Sicherheit und setzen sich auch dafür ein. 

Aber was bedeutet das für die Zukunft Europas? Wie können Verbesserungen in der EU umgesetzt werden? Die Antwort darauf will die EU mit der Konferenz zur Zukunft Europas beantworten. Hier sollen Europäer:innen ihre Vorstellungen von Europa kundtun. Auf einer digitalen Plattform sollten sie ihre Ideen austauschen. Das Europäische Parlament, der Rat und die Europäische Kommission haben sich dazu verpflichtet, die Vorschläge im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu berücksichtigen. Am 9. Mai wurde den Präsidenten der drei Organe ein Bericht mit 49 Vorschlägen zur Verbesserung Europas vorgelegt. Für vier große Bereiche haben die Bürger:innen Ideen gesammelt. Im Bereich soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Klimawandel und Europas Rolle in der Weltpolitik. Man möchte, dass die EU transparenter agiert, sie soll die Bürger:innen enger in die Entscheidungsfindungen einbinden und ein Online-Tool anbieten, bei denen vertifizierte Informationen über Politikinhalte bereitgestellt werden. Sie soll auch zukunftsfähiger agieren, beispielsweise die Energietransformation vorantreiben und nachhaltige Landwirtschaft bewerben. Und warum nicht das Bürgerforum gleich dauerhaft anbieten? Warum nicht, den in der EU lebenden Menschen das Gefühl geben, dass Politik in der EU von allen mitgestaltet werden kann und auch wird. Die Initative der Bürger hat sogar dazu geführt, dass das Europaparlament nun einen tatsächlichen Vorschlag zur Vertragsänderung vorgelegt hat. Der Vorschlag sieht unter anderem einen Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zum Mehrheitsprinzip vor. Außerdem will sie die Kompetenzen der EU ausweiten, zum Beispiel in der Energie- und Sicherheitspolitik. 

Das Bürgerforum hat gezeigt: sehr wohl ist Europa noch verbesserungswürdig. Aber auch, dass es Verbesserungsvorschläge annehmen und umsetzen will. Es muss nur mutiger werden und die Handlungsmöglichkeiten, die in ihre Kompetenz fallen, auch tatsächlich anwenden. Und insbesondere die Bürger:innen darüber informieren. 

Mit Sicherheit steht Europa also vor großen Herausforderungen von außen wie von innen, doch was einst als Wirtschaftsgemeinschaft gedacht war, ist heute eine immer größer werdende Gemeinschaft, die darüber hinaus zusammenarbeitet, immer noch mit derselben Grundidee: Gemeinsam ist es besser.